Wenn mal Zeit ist, erklären wir auch gern ein paar Fachbegriffe. Am liebsten die, nach denen wir oft gefragt werden. Am meisten Spaß macht es, wenn es sich um Begriffe handelt, die man als "gar nicht so wichtig" entzaubern kann. Heute also den Bodenrichtwert...
Was ist der Bodenrichtwert?
Ein Bodenrichtwert ist ein vom Gutachterausschuss ermittelter durchschnittlicher Wert der tatsächlich in jedem abgelaufenen Kalenderjahr erzielten Kaufpreise für Grundstücke.
Anders gesagt: Der Gutachterausschuss teilt die Kaufpreise in Zonen ein (sog. "Richtwertzonen") und ermittelt, welche durchschnittlichen Preise für Boden dort jeweils erzielt wurden. Diese werden pro m² angegeben.
Dieser Wert wird aus den beim Gutachterausschuss eingegangenen Kaufverträgen errechnet und gilt für ein fiktives, durchschnittliches Grundstück, wie es in der Richtwertzone typisch ist: Das so genannte Richtwertgrundstück.
Es wird dabei angegeben, für welche Bebaubarkeit dieser Wert gilt. Daher sagen in unserem Beispielbild die Ziffern unter dem waagerechten Strich, dass dieser Wert für Wohnbebauung gilt und die Zahl, von wie viel Bebauung (in Fläche über alle Etagen hinweg) im Verhältnis zur Grundstücksgröße dabei ausgegangen wurde (sog. Geschossflächenzahl). 2,5 würde bedeuten, dass von zweieinhalb Mal so viel Fläche über alle Etagen hinweg ausgegangen wird, wie die Grundstücksgröße beträgt.
Diese Zahl ist jeweils nicht willkürlich, sondern entspricht der vorwiegenden Bebauung in der Richtwertzone, trifft daher also den Durchschnitt der Grundstücke.
Manchmal wird auch noch die Größe des Richtwertgrundstückes angegeben. Ist dies nicht der Fall, dann schaut man in der Bodenrichtwertkarte oder anderen Verzeichnissen nach der üblichen Größe in der Bodenrichtwertzone. Hat man also ein Grundstück, das dem Richtwertgrundstück exakt entspricht, dann ist man in der glücklichen Lage, den Bodenrichtwert fast unverändert übernehmen zu können. Man muss lediglich eine zeitliche Anpassung vom Stichtag des Bodenrichtwertes (immer der Jahreswechsel) zum gewünschten Tag der Berechnung (sog. Wertermittlungsstichtag) vornehmen.
Was soll daran verkehrt sein?
Freundlich ausgedrückt: Einiges. Warum?
Das ist vergleichbar mit einem Autobesitzer, der sich danach erkundigt, was sein Auto noch wert ist, Der Fachmann sagt ihm, dass ein 8 Jahre alter Golf IV mit rund 100.000 km ohne Klimaanlage noch etwa so-und-so-viel Euro am Markt für Gebrauchtwagen erzielen würde. Sein eigener Golf V ist aber erst fünf Jahre alt, hat eine Klimaanlage und einen Tachostand von 75.000 Kilometern.
Wie vergleicht er nun seinen Wagen mit dem angegebenen Musterfahrzeug (quasi dem Pendant zum Richtwertgrundstück) und rechnet die Preisangabe um, damit er zu einem angemessenen Wert für sein Auto kommt? Übertragen wir das Ganze zurück ins Immobilienfach und schauen uns an, welche Abweichungen vom Richtwertgrundstück ein zu bewertendes Grundstück haben könnte:
- Zunächst einmal könnte es nicht der angegebenen Bebauungsart entsprechen.
- Es hat vielleicht einen Gewerbeanteil in einer Zone mit Wohnbebauung.
- Oder die Geschossfläche des Gebäudes liegt über oder unter dem für das Richtwertgrundstück angegebenen Wert (das ist bei einer Zahl mit einer Kommastelle sehr häufig der Fall).
- Auch könnte es sein, dass das Grundstück größer oder kleiner ist, als das Richtwertgrundstück.
- Das Grundstück könnte an einer lauten Straße innerhalb einer eher ruhigen Richtwertzone liegen und dadurch vom Richtwert abweichen.
- Das Grundstück könnte in einer von Wasser dominierten Zone abseits des Wassers liegen oder andersherum.
- Es könnte vorkommen, dass bei dem Grundstück noch Erschließungsbeiträge offen sind, während dies beim Richtwertgrundstück nicht mehr vorgesehen ist.
- Es könnte sein, dass das zu bewertende Grundstück noch nicht baureif ist und dadurch abweicht.
- Wegerechte oder Baulasten könnten einen Unterschied zum Richtwertgrundstück bewirken.
Sie sehen: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, wieso der vom Gutachterausschuss angegebene Bodenrichtwert nicht 1:1 übernommen werden kann, wenn man zum korrekten Bodenwert für ein zu bewertendes Grundstück kommen will.
Haben Sie also ein Gutachten oder eine andere Berechnung vor sich, in der ein Bodenrichtwert verwendet wurde, dann hinterfragen Sie diese Berechnung.
Vergleichen Sie die Angaben über den Bodenrichtwert mit
den Eigenschaften des zu bewertenden Grundstückes.
Stimmen sie nicht überein, dann müsste eine Anpassung erfolgt sein.
Ist keine erfolgt, dann sollte Ihnen jemand sehr gut erklären, wieso.
Oder wir machen das für Sie. Das wissen Sie ja.
Mirko Otto
Mirko Otto ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und nach ISO/IEC 17024 zertifizierter Immobiliensachverständiger. Als Gründer der Sachverständigensozietät "Otto und Kollegen" ist der Vater von drei Kindern selbst Immobilieninvestor und seit 1997 mit der Bewertung von Immobilien jeder Art bestens vertraut.